Wir sind gerufen zu einer Beziehung, die das Menschliche übersteigt. Wir sind im wahrsten Sinne vorherbestimmt für das Zusammensein mit dem, der unser Ursprung und Ziel ist: mit Gott, der uns geschaffen hat. Alles in uns ist darauf angelegt, Beziehung und Gemeinschaft mit dem Dreifaltigen Gott einzugehen. Wir, als ganze Menschen mit Leib und Seele, sind befähigt, Gott zu erkennen und zu empfangen; dieses nennt die Kirche die „Gottfähigkeit“ des Menschen.
Die Kirche sagt sogar, dass die Beziehung mit Gott die erste und wichtigste Beziehung des Menschen ist.
Sie ist so fundamental und wesentlich, dass ihm etwas Existentielles fehlt, wenn er nicht in Beziehung mit Gott lebt. Es ist so, als fehle in der Mitte des Selbst etwas. Man kann es vielleicht eine existentielle Einsamkeit nennen, ein existentielles Alleinsein des Menschen, wenn er von Gott getrennt ist. Dieses ist auch von psychologischer Seite durchaus erkannt, von einer Psychologie, die die geistige Ebene des Menschen berücksichtigt, wie es John H. Coe und Todd W. Hall herausarbeiten (1).
Eine solche existentielle Einsamkeit kann der Mensch fühlen und erleiden, wenn er sie in der Tiefe auch nicht immer benennen kann. Etwas diffus erlebt es der Mensch oft einfach nur als eine innere Leere, als eine unerfüllte Suche nach Sinn, als ein Nicht-satt-werden an der Welt, als eine Schwere des Seins oder auch nur als eine tiefe, unbestimmte Sehnsucht und Wehmut.
Der existentielle Ruf und unsere Fähigkeit, mit Gott in tiefster Gemeinschaft zu leben, liegt oft lange Zeiten unseres Lebens brach. Manchmal sind es erst intensive Augenblicke von Schönheit, Natur, Liebe oder auch des Leidens, die uns für das Transzendente öffnen (2).
Dieser Ruf berührt so sehr die Tiefen unseres Seins, dass selbst Freundschaften und engste Beziehungen, die wir leben, nicht an diese Sehnsucht heranreichen. Selbst im größten Glück von Partnerschaft, Ehe, Familie und Freunden kann ein plötzliches Innehalten dasein, das nach einem noch höheren Sinn fragt.
Wenn dann Situationen des Leidens kommen, in denen es schwierig wird und wir uns von allen und allem verlassen fühlen, kann eine solche existentielle Einsamkeit noch einmal mehr zu Buche schlagen.
Dann wird es besonders spürbar, dass der Mensch ohne Gott „von den Gründen seines Daseins her“ verlassen ist, wie es der große katholische Theologe Romano Guardini formuliert (3). Der Mensch bleibt letztlich auf sich selbst zurückgeworfen. Hier brauchen wir Erlösung. Romano Guardini schreibt:
„Sehr verlassen ist der Mensch. Verlassen von den Gründen seines Daseins her. Nicht deshalb, weil es zu wenig tüchtige oder gewissenhafte Leute gäbe, die sich um die anderen kümmern; die könnten die Verlassenheit innerhalb des Daseins überwinden. Was hier gemeint wird, kommt tiefer her. Das Dasein selbst ist ‚verlassen‘, weil es ist, wie es ist; von Gott abgeglitten, ins Leere sinkend. An diese Verlassenheit reicht keine menschliche Hand. Sie überwinden kann nur Christus.“ (4)
Auf dieser existentiellen Ebene berührt uns Christus. Erlösung können wir nur von Ihm empfangen. Die Seele streckt sich nach Jesus Christus aus, selbst wenn wir ihn nicht kennen. Oder selbst wenn wir, aus welchen Gründen auch immer (Stichwort „krankmachende Gottesbilder“) völlig falsche Vorstellungen von ihm haben.
Doch unsere Seele weiß, dass es uns auf allen Ebenen gut tut, diesen Jesus kennenzulernen. Er ist der Sohn des Vaters, die menschgewordene Liebe. Jesus will mit uns, mit jedem einzelnen, eine persönliche Beziehung eingehen.
Es geht nicht allein um den Glauben an irgendetwas, wenn wir von „christlich“ reden. Es geht tatsächlich um diese persönliche Beziehung zu Jesus Christus. Gott will uns nah sein. Er will bei uns sein, mitten unter uns. Er will an deinem und an meinem Leben teilhaben. Er will diese grundlegende Einsamkeit und Verlorenheit des Menschen durchbrechen.
„Ein Christ ist nie allein“,
hörten wir em. Papst Benedikt XVI in einer seiner ersten Ansprachen als neu gewählter Papst an deutsche Pilger in Rom (5).
Doch wie geschieht das? Wie ist es möglich, eine persönliche Beziehung mit Gott zu leben?
Jesus selbst gibt uns eine Antwort in der Bibel. Bei seinem Gebet zum Vater spricht er:
„Wie du, Vater in mir bist, und ich in dir bin, so sollen auch sie in uns sein … ich in ihnen und du in mir.“ (Joh 17, 21-23)
Wir sind gerufen, dass Gott in uns Wohnung nimmt. Gott in mir und ich in Gott. Ich in Ihm und Er in mir. Jesus will und kann in unsere Herzen eintreten. Und durch Jesus sind wir dann vereint mit dem Vater. Dort, wo Vater und Sohn sind, ist auch der Geist des Sohnes und des Vaters: der Heilige Geist. Mehr noch: Das Innewohnen Gottes in uns ist ein Werk des Heiligen Geistes.
In nüchterner theologischer Sprache legt dieses der Katechismus dar:
„Das letzte Ziel der ganzen göttlichen Ökonomie ist die Aufnahme der Geschöpfe in die vollständige Vereinigung mit der glückseligen Trinität (vgl. Joh 17, 21-23) … schon jetzt sind wir dazu berufen, eine Wohnstätte der heiligsten Dreifaltigkeit zu sein.“ (6)
Eine Wohnstätte der Heiligsten Dreifaltigkeit zu sein ist ein geistiges, gnadenhaftes Geschehen. Dieses ist es, das die die existentielle Einsamkeit des Menschen durchbricht.
Jesus hat es erwirkt. Er hat uns durch seinen Tod am Kreuz diese Vereinigung mit Gott wieder neu ermöglicht. Jesus hat diese tiefste, existentielle Verlorenheit des Menschen überwunden und er reicht uns die Hand. Er lädt uns ein, die Erlösung anzunehmen: Ich in Ihm und Er in mir.
Es ist ein zutiefst heilendes Geschehen, wenn diese Einsamkeit auf der existentiellen Ebene durchbrochen wird. Ich denke, es ist nicht zu viel zu sagen, dass jeder Mensch diese grundlegende Heilung benötigt.
Eine Seele, die dieses vielleicht zum ersten Mal erfährt, kann die Tiefe und Größe des Geschehens noch nicht einmal annähernd erfassen. Doch sie weiß irgendwie, dass sie an ihrem existentiellen Ursprung und Ziel angekommen ist. Und sie weiß ebenso: Es ist Jesus Christus, der eingetreten ist, mit der Einladung, eine persönliche Beziehung zu beginnen.
Der heilige Kirchenlehrer Augustinus sagte schon im 4. Jahrhundert nach Christus:
„Denn geschaffen hast du uns auf dich hin, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe hat in dir.“ (7)
Hier, wo das menschliche Herz in Gott ruht, hier, wo die lebendige Beziehung mit Jesus ihren Anfang nimmt, wird mein Herz ein anbetendes Herz.
Denn wer geht hier eine Beziehung miteinander ein? Eine Beziehung gestaltet sich immer vom Charakter und Wesen der Beteiligten her.
Und die Seele weiß, ohne zu wissen warum sie es weiß, wer es ist, der sie hier mit seiner Liebe umarmt. Es ist nicht eine Liebe von gleich zu gleich, wie wir sie in aller Unvollkommenheit unter Menschen kennen. Von uns aus ist es die Liebe des Geschöpfes zu ihrem allmächtigen Schöpfer und Erlöser, Liebe durchtränkt von Anbetung, und Anbetung durchtränkt von Liebe.
Wir empfangen Liebe über Liebe. Unser Anbeten ist wie eine spontane, natürliche Reaktion der Mächtigkeit dieser Liebe gegenüber, sie ist ein „Zurücklieben“. Hier erahnt die Seele, ohne die Tiefe und Größe des Geschehens nur annähernd fassen zu können, dass sie an ihrem existentiellen Ursprung und Ziel angekommen ist.
Ich denke, es ist nicht zu viel zu sagen, dass dieses grundsätzliche Durchbrechen der existentiellen Einsamkeit durch die Beziehung mit Gott schon als ein heilendes Geschehen bezeichnet werden kann; als eine Heilung, die jeder Mensch benötigt, der fern von Gott lebt und der noch nicht die Liebe des Dreifaltigen Gottes erfahren konnte.
Das meint unser emeritierter Papst Benedikt XVI vielleicht mit, wenn er sich nicht scheut,
„das Christentum geradezu als eine ‚therapeutische Religion‘ (zu bezeichnen ) – eine Religion des Heilens. Wenn man das in der nötigen Tiefe auffasst, ist darin der ganze Inhalt von ‚Erlösung‘ ausgedrückt.“ (8)
Ja, wenn wir Jesus Christus anbeten, treten wir in eine heilende Beziehung mit dem einen und einzigen Gott ein, der uns in der tiefsten Tiefe unserer Existenz berührt, erlöst und heilt.
Wie gut es für uns ist, den wahren Gott anzubeten und die Zärtlichkeit des wahren Gottes kennenzulernen, der nur Liebe ist und auf uns wartet. Noch mehr, der alles tut, um unser Herz für ihn zu öffnen. Kommt, lasst uns anbeten!
VERWEISE
Fotos: Herzlichen Dank an @majorchange.org für die freundliche Überlassung des Fotos mit der Monstranz.
Alle weiteren Fotots: www.unsplash.com
Literaturverweise:
(1) vgl. Coe, John H.; Hall, Todd W.: Psychology in the Spirit: Contours of a Transformational Psychology. Downers Grove/Illinois, 2010, S. 264
(2) vgl. Coe, John H.; Hall, Todd W.: Psychology in the Spirit: Contours of a Transformational Psychology. Downers Grove/Illinois, 2010, S. 264
(3) Guardini, Romano: Der Herr. Leipzig, 1957, S. 188
(4) Guardini, Romano: Der Herr. Leipzig, 1957, S. 188
(5) https://de.scribd.com/document/231105384/ANSPRACHE-VON-BENEDIKT-XVI-AN-DIE-PILGER-AUS-DEUTSCHLAND-25-04-2005).
(6) Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 260
(7) Bernhart, Joseph: Augustinus – Bekenntnisse. Insel Verlag, Frankfurt/M, 1987, S. 13
(8) Papst Benedikt XVI: Jesus von Nazareth. Bd. 1, Freiburg i. Br., 2007, S. 212f