In diesem zweiten Beitrag zu Jüngerschaft wollen wir vier sehr wichtige Aspekte von Jüngerschaft betrachten. Uns hat vor allem der Jüngerschaftskurs der österreichischen Loretto-Gemeinschaft angeregt[1]. Wer ihn kennt, wird hier manches wiederfinden, aber auch so manches Neues.
Vier grundlegende Aspekte von Jüngerschaft
In diesem Blogbeitrag geht es um vier wesentliche Grundlagen von Jüngerschaft. (1) Jesus ruft eine Gruppe zu sich, (2) sie folgen ihm nach, (3) er lebt er mit ihnen. (4) Dann sendet er sie aus. Und noch bevor es zu den einzelnen Punkten geht, ist die Frage:
Warum ist Jüngerschaft überhaupt wichtig?
Ein Jünger Jesu zu werden ist eigentlich ein Ruf an jeden Menschen. Dieses zeigt uns das Wort Gottes, die Bibel, in der Jesus spricht:
„Darum geht, macht alle Völker zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“. (Mt 28, 18-19)
Jesus sagt diese Worte, alle Völker zu seinen Jüngern zu machen, an herausragender Stelle. Dieses gibt seinen Worten noch einmal ein besonderes Gewicht. Kurz vor seiner Himmelfahrt sagt er sie, im Zusammenhang mit seinem Auftrag an die Jünger, bis an die Grenzen der Erde zu gehen und sein Wort zu verkünden.
Er spricht sie zu denen, die er selbst als Jünger herangebildet hat (vgl. zum Missionabefehl auch Mk 16, 15; Lk 24, 47; Apg 1, 8). Seine Worte zur Jüngerschaft sind eng mit diesem ureigensten Wesensmerkmal der Kirche verbunden: ihrem missionarischen Charakter.
Selbst ein Jünger Jesu zu sein und Menschen zu Jüngern zu machen gehört also fundamental dazu, das Reich Gottes zu verkünden, und um als Kirche in der Welt fruchtbar zu sein. Das Prinzip Jüngerschaft ist also keine neue „pastorale Erfindung“, sondern ist der Wille Jesu für seine Kirche.
Und zwar von Anfang an, als sie damals noch aus einem kleinen Häuflein von Menschen bestand. Aus diesem Häuflein ist inzwischen der weltumspannende Leib Christi geworden, und immer war die Kirche, dort wo sie fruchtbar war, mit jüngerschaftlichen Prinzipien unterwegs. Vielleicht sind sogar Kirche, Gemeinden und christliche Gemeinschaften nur in dem Maße fruchtbar, wie sie jüngerschaftliche Prinzipien umsetzen und leben?
Heute, zumindest hier in der Kirche Westeuropas, sehen wir uns in einer Situation, in der Jüngerschaft als Thema weitgehend vergessen ist. Es gibt wenig Wissen über die Grundlagen von Jüngerschaft, was Jüngerschaft eigentlich ist und warum sie so wesentlich ist.
Angesichts der derzeitigen Situation in der Kirche hier, wo es aufs Ganze gesehen eher abwärts geht, ist die Wiederentdeckung von jüngerschaftlichen Prinzipien mehr als angezeigt. Für eventuelle Skeptiker: Einen Versuch ist es allemal wert! Ermutigend sind die Aufbrüche, die es in der Kirche, und dem gesamten Leib Christi aller Denominationen, gibt; und es ist nicht verwunderlich, dass wir beim näheren Hinsehen tatsächlich die jüngerschaftlichen Prinzipien entdecken.
Im katholischen Bereich seien besonders die Gemeinden von James Mallon in Halifax/Kanada oder Michael White in Baltimore/USA genannt, die Jüngerschaft zum erfolgreichen Prinzip ihres Gemeindeaufbaus gemacht haben.
Internationale Vorreiter waren z.B. die bekannten amerikanischen Großkirchen ‚Willow Creek‘ und ‚Saddleback Church‘, und im deutschsprachigen Raum die ‚Jugend mit einer Mission‘. Immer mehr kleine und große Gemeinschaften und Gemeinden aller Konfessionen beginnen jüngerschaftliches Leben umzusetzen. Vor allem sei hier die katholische Loretto-Gemeinschaft aus Österreich erwähnt, die für uns immer wieder eine neue Inspiration ist.
Und nun zu den
vier grundlegenden Aspekten von Jüngerschaft
(1) Jesus ruft eine Gruppe zu sich
Wenn wir das Evangelium betrachten, sehen wir, dass Jüngerschaft das typische Modell Jesu ist. Er ist es, der Menschen zusammenruft und um sich versammelt, damit sie seine Jünger werden. Im Markusevangelium heißt es:
„… er rief die zu sich, die er erwählt hatte. Und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte.“ (Mk 3, 13-14)
Neben diesen ersten 12 Aposteln, die alle namentlich erwähnt werden, hören wir in den Evangelien von weiteren Jüngern. Einmal sind 70 bis 72 erwähnt (vgl. Lk 10, 1), doch es dürften noch wesentlich mehr gewesen sein (vgl. Apg 6,7; Joh 6, 66). Darunter waren auch Frauen.
Zur Zeit Jesu war es durchaus ungewöhnlich, dass ein Rabbi Frauen unter seinen Anhängern hatte. Namentlich genannt sind Maria Magdalena und Marta, die Schwestern des Lazarus, Johanna des Chuza und Susanna (vgl. Lk 8, 2), Lydia und Tabita (vgl. Apg 16, 14; 9, 36) und seine Mutter, die Jungfrau Maria (vgl. Apg 1, 14).
Am Modell Jesu in der Bibel sehen wir, dass alle zu Jüngerschaft berufen sind, gleich welche Aufgabe oder Amt jemand in der Kirche innehat, gleich welches Geschlecht oder welcher Hintergrund sein eigen ist. Auf die heutige Zeit übertragen sprechen wir von Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Laien, Männern, Frauen, Verheirateten, Singles und vollzeitlich oder ehrenamtlich Tätigen, die alle zur Jüngerschaft berufen sind. Deshalb lässt sich feststellen:
„Jüngerschaft – mit den wesentlichen Kernprozessen – ist keine Option.“[2]
Jesus Christus ruft jeden ganz persönlich beim Namen. Er ist derjenige, der ruft und beruft: so heißt es im Johannesevangelium:
„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt, und dass eure Frucht bleibt.“ (Joh 15, 16)
(2) Sie folgen ihm nach: Nachfolge Jesu
Ein entscheidendes Merkmal von Jüngerschaft ist die Nachfolge. Es gibt einen Meister, dem wir folgen. Für die ersten Apostel und Jünger bedeutete ’nachfolgen‘ zum einen ganz konkret, alles stehen und liegen zu lassen, ihrem Meister Jesus auf seinen Predigttouren durch Israel zu begleiten und an der Verkündigung seiner Heilsbotschaft mitzuwirken.
Es ist nun gleich, in welchem Lebensstand uns Jesus Christus nun konkret beruft. Ihm nachzufolgen hat immer einen gemeinsamen Nenner. Egal, wo wir hingestellt sind, bedeutet Nachfolge vor allem die Entschiedenheit, uns in unserer Lebensweise von Jesus Christus leiten zu lassen und uns an seinem Vorbild und seiner Lehre zu orientieren. Wir versuchen, in seine Fußstapfen zu treten. Als Jünger Jesu erkennen wir Jesus Christus als unseren Meister an, und wir erklären uns bereit, auf ihn zu hören.
Die Bereitschaft, auf Jesus zu hören, gehört wesentlich zu einem nachfolgenden Jünger dazu. Die Nachfolge Jesu ist geprägt davon, dass eine direkte Lehrer-Schüler-Beziehung existiert. Schon das Wort „Jünger“ weist darauf hin. Das griechische Wort ‚Jünger‘ (μαθητάι, mathētai) heißt wörtlich ‚Schüler‘. Das deutsche ‚Jünger‘ kommt aus dem althochdeutschen ‚jungiro‘ und bedeutet ‚der Lehrling‘ oder ‚der Lernende‘.
Als Jünger Jesu geht es aber nicht nur um das Erlernen von kognitivem Wissen. Sicher, aktiv die Bibel zu studieren, die Lehre der Kirche zu kennen und von den Heiligen zu lernen ist wichtig. Doch Jüngerschaft ist mehr, als Wissen darüber zu sammeln, was für das Leben eines Christen notwendig ist. Es bedeutet vor allem auch, sich davon formen lassen.
So braucht es die Bereitschaft, dass das Wort und Beispiel Jesu in uns ‚Fleisch wird‘. Es bedeutet, uns die Art und Weise Jesu zu eigen machen und sie als Maßstab unseres Lebens zu setzen, und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. Paulus benutzt in diesem Zusammenhang das Bild des neuen Menschen in einem neuen Gewand:
„… lasst euch erneuern durch den Geist und euer Denken! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit!“ (Eph 4, 23-24)
Insofern bedeutet Jüngerschaft ganz wesentlich, seine Lehre anzunehmen und sich von ihm formen zu lassen. Deshalb beginnt Jüngerschaft immer bei einem selbst und mit der Bereitschaft, sich auf einen solchen Prozess einzulassen.
Dabei ist es gleich, wo wir gerade stehen. Jesus sucht keine perfekten Menschen. Wir müssen keine Superhelden sein. Gott geht mit uns von da aus, wo wir sind.
Und doch er gibt uns eine wunderbare Verheißung, wenn wir uns mit ihm auf diesen Weg begeben. Sie mag uns fast zu groß erscheinen, aber sie will uns ermutigen und anspornen:
„Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein.“ (Lk 6, 40)
(3) Er lebte mit ihnen: Gemeinschaft mit Jesus und Gemeinschaft untereinander
Wesentlich für Jüngerschaft ist, sich bewusst zu werden, dass Jesus Christus heute noch mit uns lebt. Wie war das damals konkret für seine Jünger? Diejenigen, die er zu sich gerufen hatte, hatten eine persönliche Beziehung mit ihm, er nannte sie seine Freunde (vgl. Joh 15, 14) und sie lernten ihn mit der Zeit immer besser kennen.
Jüngerschaft bedeutet heute insofern genauso, eine persönliche Beziehung mit Jesus Christus zu leben und ihn immer besser kennenzulernen. Es bedeutet, die Gemeinschaft mit ihm immer mehr zu vertiefen.
Wo finden wir Jesus Christus heute ganz konkret? Zuallererst finden wir ihn in der heiligen Eucharistie. Im Allerheiligsten Sakrament ist er heute mit Leib und Blut unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig. In der heiligen Messe können wir ihn empfangen, doch längere Zeit mit ihm zu verbringen, um zu einer Vertiefung der Gemeinschaft und Beziehung mit ihm kommen, ist durch das anbetende und liebende Verweilen vor dem Allerheiligsten Sakrament möglich.
Nach Julien Eymard, einem heiliggesprochenen Priester und Apostel der Eucharistie des 19. Jahrhunderts (dessen bis heute unverwester Leib in Paris zu sehen ist), führt die Kontemplation der Eucharistie zu einer immer tieferen Vereinigung mit Jesus[3].
Genau dieses möchte auch Jesus: Über die Sehnsucht Jesu nach uns, über sein brennendes Verlangen, mit uns in immer tiefere Gemeinschaft zu treten, schreibt die heilige Therese von Lisieux:
„… Jesus ist dort im Tabernakel ausdrücklich für dich, für dich allein. Er brennt vor Verlangen, in dein Herz einzutreten.“[4]
Oder die heilige Edith Stein:
„Der Herr ist im Tabernakel in seiner Gottheit und Menschheit gegenwärtig. Er ist nicht dort für sich selbst, sondern für uns: Es ist seine Freude, bei uns zu sein.“[5]
Ebenso sehen wir in der Bibel: Jüngerschaft braucht Gemeinschaft. Wir brauchen also nicht nur die persönliche Freundschaft und Beziehung mit Jesus, sondern auch die Gemeinschaft untereinander. Jesus wollte uns mit dem Modell Jüngerschaft ebenso zeigen, dass Glauben eine Sache von Gemeinschaft ist. Die Apostel und Jünger lebten mit Jesus zusammen, hörten seine Lehre, sahen sein Beispiel und hatten gleich die Gemeinschaft um sich herum, um das Gehörte und Beobachtete in die Tat umzusetzen und einzuüben.
Wir alle wissen vielleicht, dass es am anspruchsvollsten ist, das Evangelium im engsten und vertrautesten Kreis zu leben, im Klein-Klein des Gemeinde- oder Familienalltags oder wo auch immer wir hingestellt sind. Eine Kleingruppe zu haben, in der Jüngerschaftsthemen durchgesprochen und eingeübt werden ist ein sehr großer Segen! Jüngerschaft leben ist also auch ein Prozess in Gemeinschaft.
(4) Aussendung
Jüngerschaft ist immer missionarisch ausgerichtet. Da dieser einzelne Punkt sehr umfassend ist, soll es hier nur kurz angedeutet werden durch das unten folgende Bibelwort, das den missionarischen Aspekt deutlich hervorhebt. Da der missionarische Aspekt sehr viele Facetten hat, wird in einer der nächsten Jüngerschaftseinheiten noch näher darauf eingegangen (und erscheint als dann hier als Blogbeitrag):
„Dann sagte er zu ihnen: Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden. Und durch die, die zum Glauben gekommen sind, werden folgende Zeichen geschehen: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden; wenn sie Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden; und die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden. Nachdem Jesus, der Herr, dies zu ihnen gesagt hatte, wurde er in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und verkündeten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die es begleiteten.“ (Mk 16, 15-20)
Hier geht es zu weiteren Blogbeiträgen zu Jüngerschaft:
#1 Was bedeutet Jüngerschaft
#3 Jesus Herz – Feuerherd der Liebe
#4 Das entscheidende Merkmal deiner Identität leben
Verweise und Anmerkungen
[1] Knittelfelder, Patrick; Lang, Bernadette: Lifestyle Jüngerschaft. Lege das Fundament deines Lebens. Holzgerlingen, 2019
[2] Knittelfelder, Patrick; Lang, Bernadette: Lifestyle Jüngerschaft. Lege das Fundament deines Lebens. Holzgerlingen, 2019, S. 27
[3] Vgl. P. Racine, Florian (Hrsg): Adorer en esprit et en vérité. Extraits des prédications de Saint Pierre-Julien Eymard. Paris, 2009, S. 105
[4] zitiert in P. Racine, Florian: Could you not watch with me one hour. How to cultivate a deeper relationship with the Lord through Eucharistic adoration. San Francisco, 2014; S. 27
[5] zitiert in P. Racine, Florian: Could you not watch with me one hour. How to cultivate a deeper relationship with the Lord through Eucharistic adoration. San Francisco, 2014; S. 51