Gott hat eine ausgesprochen leidenschaftliche, brennende Liebe für uns. Er
„…verliebte sich in die Schönheit seiner Geschöpfe … hingerissen vom Feuer seiner Liebe erschuf er uns.“[1]
In diesem vierten Beitrag über Jüngerschaft geht es darum, was es für unsere Identität als Mensch bedeutet, aus einer solchen göttlichen Liebesflamme hervorgegangen zu sein, und wie wir dieses besondere Identitätsmerkmal leben können.
Während eines Studienaufenthaltes auf den Philippinen kam ich (Ruth) in eine Situation, im unwegsamen Dschungel der Cordillera eine aus Bambus gefertigte Hängebrücke überqueren zu müssen. Ich gestehe, dass nicht nur mir, sondern auch meinen europäischen Mitreisenden etwas anders wurde; etwas, das unsere philippinischen Gastgeber eher amüsierte.
Ob dieses einfache Geflecht aus Seilen, Draht und Bambus tatsächlich halten und nicht plötzlich reißen oder sich aus der Befestigung lösen würde, die sich auf der anderen Seite des Flusstales befand? Die Gefahr, aus respektabler Höhe ohne weiteres in die Tiefe zu fallen, war für uns keine besonders beruhigende Aussicht.
Jüngerschaft zu leben ist immer auch ein Abenteuer, manchmal vielleicht sogar auch mit einer solchen ungewöhnlichen Brückenüberquerung. Doch darüber hinaus erschien uns das Bild einer Brücke und ihrer Überquerung sehr treffend für das, was wesentlich für die Identität des Menschen an sich ist, der aus dem Liebesfeuer Gottes hervorging. Was ist dieses?
Es ist die Fähigkeit, mit Gott in Beziehung zu treten. Gott hat den Menschen aus seiner Liebesflamme heraus von Beginn an mit sich in Beziehung gesetzt. Er hat ihn befähigt, eine solche Brücke zu schlagen, eine Brücke zu ihm hin. Mit dem Menschen, der aus diesem göttlichen Liebesstrom hervorgegangen war, wollte Gott weiterhin in Vereinigung und Gemeinschaft leben, in aller Freiheit. Deshalb befähigte er ihn zu einem solchen Brückenbau. Die Kirche nennt es die
„Gottfähigkeit des Menschen“.[2]
Der bekannte katholische Theologe Romano Guardini spricht davon, dass der Mensch existiert,
„… in Form einer Beziehung: von Gott her, auf Gott hin (…). Das ‚Von-Gott-her‘ und ‚Auf-Gott-hin‘ bestimmt sein Wesen.“[3]
Diese Fähigkeit des Brückenbaus zu Gott hin ist nicht nur irgendein beliebiges Merkmal des Menschen, das ignoriert oder wegelassen werden könnte. Nein, es ist tatsächlich ein konstituierendes Merkmal. Es ist ein Merkmal des Menschen, das so sehr mit seiner Identität als Mensch verknüpft ist, dass er ohne dieses nicht „Mensch“ genannt werden kann. Es gehört in existentiellem Sinn zum Menschen dazu[4].
Wenn wir hier von ‚existentiell‘ sprechen, kann dieses nicht weit genug gefasst werden. Romano Guardini geht so weit zu sagen, dass der Mensch keine gültige Erkenntnis über sich erlangen kann, wenn er Gott ausschließt[5].
Wir wissen natürlich, dass dieses – wie alle Dinge dieser Art – nicht in wissenschaftlichem Sinn bewiesen werden kann. Vom Dreifaltigen Gott geschaffen und auf ihn hin geschaffen zu sein ist schon ein christliches Glaubensbekenntnis.
Doch wir glauben an die Wahrheit, die Jesus Christus mit seinem Wort in die Welt gebracht hat. Wie schon zu Jesu Zeiten auf der Erde kann sie geleugnet und nicht geglaubt werden, oder es kann auch sein, dass fundiertes Wissen darüber gar nicht vorhanden oder unvollständig ist. Aber Leugnung, Unglauben oder Unwissenheit verändern keineswegs solche grundlegende Wahrheit.
Wir freuen wir uns, dass diese erste Glaubensentscheidung bei den Teilnehmern am Jüngerschaftskurs schon gefallen ist. Und es ist auf dem Weg der Jüngerschaft sehr gut, wahrzunehmen und sich bewusst zu werden, wie eng unser Menschenbild damit zusammenhängt, was wir über Gott denken. Wie entscheidend es ist – und nicht nur in dieser Hinsicht – für welche Religion oder Weltanschauung wir uns entschieden und welche Vorstellung wir von Gott haben.
Ein Vergleich wäre hier interessant in Bezug auf andere Religionen und Überzeugungen, in dem Sinne, welche Menschenbilder daraus resultieren. Aber das würde hier zu weit führen, aber wäre auf jeden Fall spannend!
Zu Religionen und Weltanschauungen zählen wir hier auch atheistische Denksysteme, weil es sich bei diesen ebenso um Glauben handelt. Jeder sogenannte naturwissenschaftliche Beweis oder jede noch so ausgefeilte, wissenschaftstheoretisch abgesicherte Überlegung, kann, wenn es zum Schwur kommt, nicht standhalten. Weder die Existenz noch die Nicht-Existenz des dreifaltigen Gottes kann hieb- und stichfest bewiesen werden. Von jedem Menschen ist letztlich die Entscheidung verlangt, wem oder was wir glauben.
Als solche nun, die wir Jüngerschaft leben wollen und eingeladen sind, unsere Gottfähigkeit als unsere ureigenste Identität als Mensch nicht nur anzunehmen, sondern aktiv zu gestalten, stellt sich die Frage: Welche Qualität hat denn dieser Teil unserer Identität bei uns? Wie steht es mit unserem Brückenbau auf Gott hin?
Als wir in der philippinischen Cordillera einer nach dem anderen die Hängebrücke überquerten und alle endlich am anderen Ende angekommen waren, war die Erleichterung groß. So fragil das Gebilde aussah, erwies es sich doch ungeachtet unserer Ängste als ernstzunehmende Brücke. Sie hatte gehalten. Sie hatte ihren Zweck erfüllt, das tief nach unten abfallende Tal mit dem Fluss zu überbrücken und die andere Seite zu erreichen.
Doch um genau zu sein: Ja, sie hatte ihren Zweck erfüllt, aber gerade mal eben so. Neben aller Dschungel-Romantik: Es war in der Tat ein Risiko angesichts der Bauweise und des Zustands dieser Hängebrücke. Sehr komplex sind die Gründe, warum es auf diesem Weg (noch) keine sichere Brücke gab. Eine solche hätte auf jeden Fall für die einfache Landbevölkerung, die oft diesen Weg gehen musste, eine Verbesserung und mehr Sicherheit bedeutet. Denn kollabierende Brücken gab und gibt es dort tatsächlich immer mal wieder. Auch die Gewöhnung an die Gefahr verbessert das eigentliche Problem nicht.
Wie sieht es mit unserer Brücke aus, die auf Gott hin? Hält unsere Brücke gerade mal eben, kommen wir gerade mal so hinüber? Haben wir den Bau lange brachliegen lassen und vernachlässigt, oder ist sie sogar schon einmal ganz zerstört gewesen?
Oder ist sie stark gebaut, und wir sind auf der Suche nach neuem Material, um sie zu verschönern und zu befestigen?
Vielleicht fühlst du dich eingeladen, an diesen Punkten weiter in die Betrachtung zu gehen und über die eigene Gottesbeziehung zu reflektieren. Es gibt so viele individuelle Möglichkeiten des Brückenbaus! Ob groß oder klein, ob mächtig oder filigran – ganz so wie Gott dazu ruft.
Wie aber baue ich an dieser meiner Brücke? Wie verschönere und befestige ich sie, will sagen, meine Verbindung zu Gott, die Beziehung mit Jesus? Wie lebe ich aktiv dieses entscheidende Identitätsmerkmal, das mich als Menschen ausmacht?
Hier sind einige Vorschläge für dich:
- Lesen und Studieren der Bibel – dieses erweitert dein Wissen über Gott und seine Sicht auf die Welt.
- Gemeinschaft mit Christen auf deinem Glaubensweg suchen – hier könnt ihr euch gegenseitig stärken und bereichern.
- Gott im persönlichen Gebet Zeit schenken – dieses festigt und stärkt deinen Glauben und die Beziehung mit ihm.
- Zeit mit Jesus im Allerheiligsten Sakrament verbringen, falls du die Gelegenheit dazu hast – dieses ist ein besonderer Ort der Gnade, an dem die Gegenwart Jesu in uns gestärkt wird.
Dieses ist natürlich nicht vollständig, denn das geistliche Leben ist sehr vielfältig, und letztlich muss jeder ausprobieren, was wie bei ihm angezeigt ist. Entscheidend ist, zu beginnen und hören zu lernen, wie Gott dich führen möchte.
Wenn du als Jünger Jesu diese Dinge regelmäßig tust, wird es deine Brücke auf jeden Fall festigen und verschönern!
Hier geht es zu anderen Blogbeiträgen zu Jüngerschaft:
Jüngerschaft #1 Was bedeutet Jüngerschaft
Jüngerschaft #2 Vier grundlegende Aspekte
Jüngerschaft #3 Jesus Herz -Feuerherd der Liebe
Anmerkungen und Verweise
[1] Katharina von Siena, Brief an Bernabó Visconti, Nr. 28, zitiert in: Herz Jesu – Feuerherd der Liebe. https://de.readkong.com/page/herz-jesu-feuerherd-der-liebe-8915630
[2] vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Kapitel 1: Der Mensch ist gottfähig. Kapitel 1, Absatz 27-49
[3] Guardini, Romano: Die Annahme seiner Selbst. Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß. München, 9. Aufl., 2008, S. 49
[4] Guardini, Romano: Die Annahme seiner Selbst. Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß. München, 9. Aufl., 2008, S. 48
[5] Guardini, Romano: Die Annahme seiner Selbst. Den Menschen erkennt nur, wer von Gott weiß. München, 9. Aufl., 2008, S. 48