Anbetung von innen her betrachtet — was geschieht eigentlich dabei? Es ist natürlich schwer, solche geistlichen, inneren Prozesse in Worte zu fassen. Doch es ist lohnenswert, einen Versuch zu starten. Denn es ist etwas so Kostbares, was der Seele widerfährt, dass es gut ist, darüber zu sprechen. Besonders auch, um die Sehnsucht nach einem solchen kostbaren Schatz zu wecken, eine vielleicht schlafende Sehnsucht danach anzurühren und aufzustören.
1. Die tiefste Sehnsucht nach liebender Vereinigung mit Gott wird berührt
Das, was in der menschlichen Seele bei der Anbetung Jesu geschieht, berührt die vielleicht tiefste, menschliche Sehnsucht: Die Sehnsucht nach liebender Vereinigung mit Gott. Es ist der ungestillte Durst des
Menschen nach dem lebendigen Wasser, das nur Gott geben kann, es ist der Durst nach den Quellen des lebendigen Wassers in uns, die nur Gott aufbrechen lassen kann, es ist der Durst nach der tiefen Vereinigung mit dem lebendigen Gott, aus dem alles Leben kommt.
Wir sind als menschliche Wesen per se zu dieser Liebesgemeinschaft mit Gott berufen: Es gehört untrennbar zu unserem Menschsein. Im Paradies, für das wir geschaffen wurden, waren wir in innigster Gemeinschaft mit Gott; und erst durch den Sündenfall verloren wir das Paradies und diese Vereinigung mit Gott (vgl. Gen 2, 7-25; 3, 1-24).
Und erst Jesus Christus war es, der uns am Kreuz dieses tiefe Vereintwerden wieder neu ermöglicht hat. Seit dem ergeht der Ruf zu dieser innigsten Gemeinschaft mit Gott an jeden Menschen, unabhängig davon, in welche Weltanschauung oder Religion er geboren oder wie er sozialisiert wurde.
„Denn geschaffen hast Du uns auf Dich hin, und ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe hat in dir“(1),
so sagte der Heilige Augustinus schon im vierten Jahrhundert nach Christus. Dieses Wort hat bis heute Gültigkeit, denn es meint genau diese alle Zeiten überschreitende, menschliche Sehnsucht, die nur durch den Dreifaltigen Gott gestillt und zur Ruhe gebracht werden kann.
2. Ohne Jesus Christus stirbt die Seele ab
Ohne Jesus Christus, durch den allein diese Vereinigung mit Gott stattfinden kann, stirbt die Seele ab, sie erleidet im wahrsten Sinne den Tod. Obwohl sie in einem lebendigen Leib lebt. Da die Seele leben will, verzweifelt leben will, bleibt sie auf einer existenziellen Suche, so lange sie die ausgestreckte Hand Christi nicht ergriffen hat.
Interessant ist hier der Sprachgebrauch Jesu in der Bibel. Er spricht von „Toten“ vor allem dann, wenn die Seele genau diesen Tod stirbt, nämlich fern vom Dreifaltigen Gott zu leben. Wenn der Leib gestorben, spricht er oft davon, dass jemand nur „schläft“.
Einmal, als die Tochter des Jairus gestorben war, wird er deswegen ausgelacht. Man unterstellt ihm, er habe nicht begriffen, dass das kleine Mädchen doch tatsächlich gestorben sei. Doch seine Anhänger und Jünger verstehen nicht, dass er sich keineswegs geirrt hat. Und wie er zu dem Mädchen kommt, erweckt er es wieder zum Leben.
„Als Jesus … hörte, wie die Leute laut weinten und jammerten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus. … Er fasste das Mädchen an der Hand und sagte: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. … Die Leute gerieten außer sich vor Entsetzen.“ (Mk 5, 38-42)
Auch vom gestorbenen Lazarus sagt er, dass er nicht „tot“ sei.
„ … Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken. Da sagten die Jünger zu ihm: Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden. Jesus hatte aber von seinem (des Lazarus) Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf. Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt: Lazarus ist gestorben.“ (Joh 11, 11-14)
Denjenigen Pharisäern und Schriftgelehrten aber, die ihm nicht glaubten, ihn ablehnten oder sogar verfolgten, sagt er, dass sie „Gräber sind“, also tot:
„Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen, innen aber sind sei voll Knochen, Schmutz und Verwesung. So erscheint ihr von außen den Menschen gerecht, innen aber seid ihr voll Heuchelei und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz.“ (Mt 23, 27-28)
Schon im Alten Testament finden wir diesen Sprachgebrauch:
„Über einen Toten weine, denn das Lebenslicht erlosch in ihm; über einen Toren weine, denn die Einsicht erlosch ihm. Weniger weine über einen Toten, denn er ruht aus; das schlechte Leben des Toren ist schlimmer als der Tod.“ (Weish 22,11)
3. Auch das Gefundenhaben bleibt eine Suchbewegung, aber es ist eine gänzlich andere
Wenn ich nun Christus als meinen Retter und Erlöser angenommen habe, wenn ich „gefunden habe“, bleibt es eine Suchbewegung, es bleibt ein Weitergehen und Voranschreiten. Denn die Liebe Christi so unendlich groß, weit und letztlich in keiner Weise auszuloten, dass wir in diese liebenden Vereinigung immer weiter und tiefer eintauchen können, ohne je ans Ende zum kommen.
Insofern sind wir gerufen, Christus immer wieder neu und vertieft zu finden. Zwar ist dieses ebenso eine suchende Bewegung der Seele. Doch sie ist anders. Sie ist gänzlich anders als die Bewegung einer Seele, die ohne eine Beziehung mit Christus lebt und die keinen Erlöser kennt oder kennen will.
Denn der glückliche Zustand des Gefundenhabens hat nicht diese Verlorenheit und grundsätzliche Verlassenheit, die wesenhaft zu diesem gehört. Romano Guardini spricht sogar von der Verlassenheit des Daseins an sich, der Mensch sei
„verlassen von den Gründen seines Daseins her“(2),
wenn die Seele Christus nicht angehört.
4. Bei der Anbetung betreten wir den Raum der Sehnsucht
In der Anbetung nun betreten wir diesen Raum der Sehnsucht. Wir betreten diesen großen, immensen geistigen Raum, in dem die liebende Gemeinschaft mit Gott stattfindet.
Wir finden das fehlende Puzzleteil, das für unser ganzes Menschsein fehlte, wir, die wir für die liebende Gemeinschaft mit Gott geschaffen sind. Denn wir verweilen in seiner göttlichen Gegenwart, suchen seine Gesellschaft und setzen unsere Seele seiner göttlichen Liebe aus. Schon Papst Benedikt XVI sagte:
„Eine wesentliche Weise des Mitseins mit dem Herrn ist die eucharistische Anbetung.“(3)
5. Die Liebe will nie stehen bleiben, sie will immer weiter gehen
Es ist das Wesen der Liebe, dass sie nie stehen bleiben will, dass sie immer weiter gehen und sich vertiefen will. In der Anbetung nun — mit dem guten Willen, sich für Jesus Christus zu öffnen — vertieft sich dieses liebende Sein mit Jesus. Es vertieft sich im Schauen auf Jesus, im Schauen auf die heilige Hostie.
Übernatürliche Freude, Frieden und Hoffnung — diese tragen wir als Christen schon als kleine Flammen in unseren Herzen. Das Verweilen unter den wirkkräftigen Strahlen der Liebe Jesu bei der Anbetung nährt diese Flamme der Freude, des Friedens und der Hoffnung und sie kann wachsen.
So kommen wir zu innerem Frieden auch in bedrängenden Zeiten. In einer Welt des Hasses und der Gewalt werde wir befähigt zu lieben; lieben in der Hoffnung auf Jesus, den Retter und Erlöser; lieben in der Hoffnung auf das ewige Reich der Liebe, dem wir schon jetzt angehören.
6. Das übernatürliche Glück steht in direktem Verhältnis zur Anbetung
In dem sehr bemerkenswerten und empfehlenswerten Buch „In Sinu Jesu“ (Im Schoße Jesu) lesen wir folgendes:
„Das Glück eines Priesters steht in direkten Verhältnis zu der Erfahrung der Freundschaft Jesu bei der eucharistischen Anbetung.“ (4)
Deutlicher ist es kaum zu sagen, wie entscheidend die eucharistische Anbetung für das geistliche Leben ist. Hier sei kurz angemerkt, dass es sich hier um übernatürliches, von Gott geschenktes Glück handelt, das unabhängig von irdischen Wohltaten ist.
Das nun, was für Priester gilt, ist in diesem Fall ebenso relevant für einfache Gläubige. Jesus Christus wartet im Sakrament der Liebe, um seine Priester und Gläubigen zu empfangen und liebevoll an sein Herz zu drücken.
Ohne die Anbetung verflüchtigen sich das übernatürliche Glück, der Frieden und die Hoffnung, und die Gefahr besteht, dass das innere Feuer erlischt und stattdessen Melancholie, Verzweiflung und Überdruss Einzug halten. Das zeigt sich vor allem in solchen Zeiten, in denen es für Christen, die es ernst meinen, von allen Seiten her schwieriger wird, selbst von innerhalb der Kirche her.
Halten wir dagegen, gehen wir den eucharistischen Herrn anbeten und empfangen wir die Funken göttlicher Liebe und göttlichen Lebens, die uns wieder neu erfrischen und aufrichten werden.
VERWEISE
(1) Bernhart, Joseph (Hrsg.): Augustinus —Bekenntnisse (Lateinisch und Deutsch). Insel Verlag, Frankfurt/M, 1987, S. 13
(2) Guardini, Romano: Der Herr. Leipzig, 1957, S. 188
(3) Papst Benedikt XVI: Predigt bei der Marianischen Vesper mit den Ordensleuten und Seminaristen Bayerns in Altötting. https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/homilies/2006/documents/hf_ben-xvi_hom_20060911_vespers-altotting.html
(4) Vgl.: In Sinu Jesu. Wenn das Herz zum Herzen spricht. Aufzeichnungen eines Priesters im Gebet. Patrimonium Verlag, Aachen, 2019, S. 282
Bilder: unsplash.com,
außer „daughter of Jairus“: https://salvationbiblecell.com/a-girl-restored-to-life-and-a-woman-healed/