Die Bibel gibt uns ein starkes und sprechendes Bild für die eucharistische Anbetung, für die Anbetung Jesu Christi, des Lammes auf dem Thron. Wir finden es im Buch der Offenbarung des Johannes:
„… fielen die vier Lebewesen und die vierundzwanzig Ältesten vor dem Lamm nieder; alle trugen Harfen und goldene Schalen von Räucherwerk; das sind die Gebete der Heiligen. Und sie sangen ein neues Lied“ (Offb 5, 8-9)
Was umgibt diese Situation, die dort geschildert wird? Wir sehen anhand des biblischen Textes vor unserem geistigen Auge Jesus Christus, das Lamm Gottes, verherrlicht und auferstanden im Thronsaal des Himmels, sitzend zur Rechten des Vaters auf dem Thron. Er ist umgeben von der erlösten Menschenschar, den Heiligen, er ist umgeben von unzähligen Engeln und anderen, unbekannten Lebewesen. Alle sind gemeinsam in Lobpreis und Anbetung des Lammes vereint.
Explizit wird hier die Anbetung des Lamm Gottes mit Musik und Gesang beschrieben. Dass Musik — die Harfe kann hier stellvertretend für jegliche Musikinstrumente stehen — und Gesang im Buch der Offenbarung ausdrücklich erwähnt werden, ist sicher nicht zufällig.
Das Buch der Offenbarung beschreibt hier eine Situation, in der wir sozusagen einen Blick „in den Himmel“ werfen dürfen, dort, wo unsere endgültige Bestimmung ihre Vollendung finden wird. Gleichzeitig beschreibt dieses prophetische Bild eine geistige Realität, die schon jetzt begonnen hat.
Die besondere Erwähnung der Anbetung des Lamm Gottes mit Musik und Gesang will uns vielleicht etwas sagen: Deutet es nicht auf eine grundlegende Berufung des Menschen hin? Dass wir schon hier auf Erden dazu berufen sind, unserer Anbetung mit Musik und Gesang Ausdruck zu geben? Und dass dieses schon jetzt in Gemeinschaft mit den Engeln und Heiligen geschieht?
Die Heilige und zur Kirchenlehrerin erhobene Hildegard von Bingen spricht dieses sehr deutlich aus. Sie sagt in diesem Zusammenhang, dass Gott uns mit einer „symphonischen Seele“ geschaffen hat. Unsere Seele ist für Musik geschaffen. Als diese musikalischen Wesen sind wir dazu bestimmt, in einem „harmonischem Gleichklang“ mit der himmlischen Musik zu sein. Sie schreibt:
„Denn Gott hat den Menschen ursprünglich als das Wesen mit ‚symphonischer Seele‘ erschaffen, ‚durchweht vom großen Zusammenklang alles geschöpflichen Seins‘, im Gleichklang mit den Chören der Engel und der Musik der überirdischen Welt.“ (Hildegard von Bingen bei Gronau: 224)
Insofern sind wir tatsächlich zu einer musikalischen Harmonie mit den himmlischen Chören, der Musik und den Gesängen der übernatürlichen Welt geschaffen. Es ist dies in gewisser Weise eine ureigenste Berufung des Menschen.
Für den Menschen, der vor dem Sündenfall den Widerspruch zu Gott nicht kannte, war diese Einheit selbstverständlich. Es heißt bei Hildegard von Bingen:
„Adam kannte vor dem Sündenfall den Gesang der Engel und alle Art von Musik und hatte eine Stimme, klingend wie der Ton eines Monochords. Beim Sündenfall aber schlich sich durch die List der Schlange in sein Mark ein Wind ein, der auch heute noch in jedem Menschen steckt. … Es wandelt sich die Stimme der himmlischen Freude … in die entgegengesetzte Art … um.“ (Hildegard von Bingen bei Gronau: 224)
So wurde das selbstverständliche Mitschwingen des Menschen mit der Musik der himmlischen Bereiche massiv gestört. Doch sie betont ausdrücklich, dass trotz des Sündenfalls die Berufung des Menschen, sich mit den Lobpreisgesängen der übernatürlichen Welt zu verbinden, bestehen bleibt. Wir sind berufen, uns mit unserer Musik mit dem Lobpreis der Engel und Heiligen zu vereinen, die schon jetzt im himmlischen Thronsaal Gottes des ewigen Lobpreis anstimmen. Es entspricht dem Schöpferwillen Gottes, so die Heilige,
„dass er (der Mensch) sich im Erkennen der wunderbaren Schöpferwerke Gottes an den preisenden Lobgesängen der Engel beteiligt.“ (Gronau: 107)
Um dieser Berufung folgen zu können, hat Gott dem Menschen die Gabe gelassen, Musik erschaffen zu können (vgl. Gronau: 224).
Diese Gabe kann der Mensch nun in aller Freiheit gebrauchen, zum Lobe Gottes, also seiner ursprünglichen Berufung entsprechend, oder aber auch in anderer Weise, sogar gegen Gott.
Wegen dieser ursprünglichen Berufung erfüllt schon allein das Hören von harmonischer Musik die Seele mit unbestimmter Wehmut und Sehnsucht. Kennen wir das nicht auch?
Wie viel mehr bringt dann eine Musik, die den Dreifaltigen Gott von Herzen lobt und preist, unsere tiefste Sehnsucht, das Verlangen nach Gott, zum Klingen? Gerade Lobpreismusik wirkt hier besonders stark, weil sie, wie schon Musik an sich, nicht über den Verstand wirkt, sondern tiefe Bereiche in uns berührt, die mit dem Denken nicht erreicht werden.
Wie aber kommen wir wieder in die Gemeinschaft mit den Klängen der himmlischen Bereiche? So unvollkommen, vielleicht unharmonisch und arm unser irdischer Lobpreis auch ist (und selbst die vollkommenste irdische Musik wird nicht an die himmlische heranreichen): Gott liebt es und hat große Freude, wenn wir in den musikalischen Lobpreis eintreten, so wie wir es können.
Um im Bild der Offenbarung des Johannes zu bleiben: Wenn wir auf Erden den Lobpreis anstimmen, treten wir in geistiger Weise in den Thronsaal Gottes ein und in die Bereiche des himmlischen Triumphes, und vereinen uns mit den Chören aller Geschöpfe vor dem Lamm Gottes, die ihm den ewigen Lobpreis singen.
Als wir begannen, mit Lobpreismusik vor das Allerheiligste zu gehen, mit der Vision eines eucharistischen Gebetshauses HOPE, in dem neben der stillen Anbetung eben auch der musikalische Lobpreis in Form des harp&bowl/prophetic worship eine entscheidende Säule sein soll, waren uns diese Zusammenhänge nicht wirklich bewusst.
Heute sind wir einmal mehr dankbar dafür, dass wir in diese unsere Berufung konkret auf diese Weise eintreten können: Unserer Anbetung einen musikalischen Ausdruck zu geben.
Es bleibt etwas sehr Besonderes, dass wir dieses in der eucharistischen Gegenwart Jesu tun dürfen. Ist Christus in der Eucharistie nicht per se das Lamm Gottes, präsent in seiner mächtigsten Gegenwart auf Erden, objektiv, sichtbar als Hostie für unsere leiblichen Augen?
„Seht, das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt“,
spricht der Priester während der Wandlung in der Messe, und hebt die konsekrierte Hostie. Er zeigt uns Jesus, das Lamm Gottes, mit den Worten Johannes des Täufers (vgl. Joh 1, 36).
Es ist das Herzstück unseres Glaubens: Der Glaube an die echte, wahrhaftige Gegenwart Jesu in der Eucharistie, die Gegenwart seines einmaligen Opfers am Kreuz und die Gegenwart seiner Verherrlichung im Himmel. Der ganze Christus ist hier gegenwärtig, sein Leben, sein Opfer, seine Auferstehung und Verherrlichung.
Vor der Eucharistie befinden wir uns direkt vor dem „Lamm und dem, der auf dem Thron sitzt“, dem in alle Ewigkeit „Lob und Ehre und Herrlichkeit“ gebühren (vgl. Off 5, 13). Welch eine Freude und welch ein Geschenk ist es, Christus in seiner mächtigsten, allerheiligsten Gegenwart anzubeten, und mit unserer Musik in geistiger Weise mit dem himmlischen Lobpreis verbunden zu sein.
Kommt lasset uns anbeten mit Musik und Gesang!
VERWEISE
Eduard Gronau: Hildegard von Bingen. Stein am Rhein, 1999
Fotos:
Mit herzlichem Dank an @majorchange.org für die freundliche Überlassung des Fotos der Hostie, die der Priester erhebt.
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